Die letzten vorliegenden Zahlen zeigen bei heimischen Banken noch keinerlei Zurückhaltung in der Vergabe von Unternehmensfinanzierungen. Im Gegenteil: erstmals seit dem Aufzeichnungsstart im Jahr 2003 wurde im Juni 2022 mit einer Steigerungsrate von 10 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode ein zweistelliges Wachstum bei Firmenkrediten verzeichnet. Doch nicht nur im ersten Halbjahr 2022 haben sich Unternehmen mit einem Plus von 8,1 Milliarden Euro massiv mit neuen Finanzierungen eingedeckt. Selbst während der Coronakrise 2020 mit 8,1 Milliarden Euro und 2021 mit 14,8 Milliarden Euro sind entsprechende Bankverbindlichkeiten stark angewachsen. Empfindlich erhöht haben sich allerdings auch, im Schatten der stark gestiegenen Inflationsrate, die Kreditzinsen. Speziell im variablen Bereich ist das Ende der Fahnenstange dabei noch nicht erreicht.

Keine namhafte Verschärfung der Kreditvergaberichtlinien

Jedenfalls nicht zu fürchten brauchen Unternehmer für geschäftliche Kreditaufnahmen das neue und sehr umstrittene Regelwerk der Finanzmarktaufsicht, in welchem beispielsweise ein Mindestanteil an Eigenkapital vorgeschrieben wird. Diese Richtlinie gilt nur für private Wohnbaukredite, nicht aber beispielsweise für ein Firmenbauwerk oder gar Betriebsmittelfinanzierungen. Generell stehen heimische Kreditinstitute laut der letzten Umfrage der österreichischen Nationalbank von Juli 2022 bei Unternehmensfinanzierungen trotz merklicher Abkühlung der konjunkturellen Perspektiven noch nicht stark auf der Bremse. Mehrheitlich wurden die Kreditvergaberichtlinien nur marginal verschärft. Dafür gaben die meisten Banken an die Kreditmargen kräftig erhöht zu haben, was in Kombination mit den gestiegenen Basiszinssätzen für empfindliche Mehrkosten sorgt.

Euribor dürfe nicht auf historische Höchststände klettern

Im Gegensatz zur heimischen Inflationsrate, welche mit über 10 Prozent den höchsten Stand seit 1952 erreicht hat, dürften die europäischen Leitzinsen und damit auch die für Unternehmenskredite relevanten Euriborsätze nicht auf historische Höchststände klettern. Die meisten Experten gehen nach dem ersten Quartal 2023 zumindest von einer deutlichen Abflachung der jüngst extremen Zinsanstiegskurve aus. Für den 3-Monats-Euribor dürfte die Reise von MINUS 0,57 Prozent noch zu Jahresbeginn auf über 2,00 Prozent gegen Ende 2022 gehen. Für den September 2023 gehen dann die Schätzungen von den von uns befragten Bankanalysten (siehe Tabelle) mit Werten zwischen 2,26 und 3,10 Prozent relativ weit auseinander.

Prognosen 3-Monats-Euribor
 Dez. 22Mär. 23Jun. 23Sep. 23
Raiffeisen Research2,25%2,60%2,60%2,60%
UniCredit Bank Austria2,25%2,30%2,30%2,30%
Erste Bank2,14%2,22%2,23%2,26%
Commerzbank (DE)2,45%3,00%3,10%3,10%
Deka Bank (DE)2,30%2,75%2,75%2,85%
Mittelwert2,28%2,57%2,60%2,62%
Quelle: jeweilige Banken, Stand 14.10.2022

Euriborwerte von rund 5,00 Prozent wie in den Jahren 2000 oder 2008 werden aus heutiger Sicht aber für sehr unwahrscheinlich erachtet. Dafür dürfte alleine schon der befürchtete globale Konjunkturrückgang im nächsten Jahr sorgen.

Tipp – Vergleichen und verhandeln lohnt sich jetzt besonders

Mit der neuen Zinssituation am Geld- und Kapitalmarkt hat sich speziell die Konditionenpolitik der Banken für Unternehmensfinanzierungen sehr unterschiedlich entwickelt. Stark steigende Basiszinssätze sorgen darüberhinaus generell für empfindlich höhere Kreditkosten. Doch nicht alle Banken versuchen in der gegenwärtig unsicheren Zeit deutlich höhere Margen als beispielsweise noch vor einem Jahr durchzusetzen. Unternehmer sollten sich daher keinesfalls mit dem erstbesten Kreditangebot zufrieden geben. Gerade jetzt zahlt sich das Vergleichen von Zinssätzen und der Vertragsmodalitäten besonders aus.
(Datenquelle: ÖNB, Diverse Banken)

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